Eigene Vier Wände - gemeinsam unter einem Dach

18. September 2017 Lesezeit: Orte
Enzklösterle. Am Rande des Naturschutzparks Schwarzwald Mitte/Nord wurde das ehemalige Hotel garni "Am Lappach" innerhalb von nur 12 Monaten komplett entkernt und in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt verwandelt. Die Initiatorin Regine Erhard und die Bewohnerin Claudia Ollenhauer geben uns im Interview einen Einblick in ihr Konzept und erzählen uns, warum es bei gemeinschaftlichen Wohnprojekten eine Organisationsform braucht.
Eigene Vier Wände - gemeinsam unter einem Dach. Wohnen "Am Lappach"
Durch die aufwändige professionelle Kernsanierung entstanden 16 hochwertige Wohnungen, zwei Gästezimmer und ein großer Gemeinschaftsraum. Foto: Claudia Ollenhauer

Karin Demming: Frau Ollenhauer, Ihr Wohnprojekt „Am Lappach wohnen“ in Baden-Württemberg liegt im wunderschönen und vor allem ruhigen Luftkurort Enzklösterle. Was war Ihre Intention für dieses Gemeinschaftsprojekt mit dem Motto: Eigene Vier Wände — gemeinsam unter einem Dach? 

Claudia Ollenhauer: Initiatorin des Projekts ist Regine Erhard, die mit ihrer Mutter das Hotel Garni „Am Lappach“ bis 2009 betrieb. Beide wohnen übrigens heute hier im Haus!

Regine Erhard: Was soll ich mit dem Hotel machen? Investieren und auf Sterne-Niveau bringen – da habe ich keine Nachfolger in Sicht gehabt. Eine Fernsehsendung zum Thema Gemeinschaftliches Wohnen hat mich auf die Idee gebracht, das Hotel in ein Wohnprojekt umzuwandeln.

Claudia: Für mich war es klar, dass nach der Familienphase etwas völlig Neues kommen muss. WG-Erfahrung habe ich ja. Also habe ich gesucht und Ende 2009 Regine kennengelernt. Damit war ich die erste, die bei dem Projekt „Am Lappach wohnen“ eingestiegen ist.

Karin: Welches Konzept steht hinter Ihrem gemeinschaftlichen Wohnprojekt?

Claudia: Im Vordergrund steht das harmonische Gemeinschaftsgefühl, der wohlwollende und wertschätzende Umgang miteinander und mit der uns umgebenden Natur. Unter unserem Dach leben Veganer und Jäger wirklich friedlich miteinander. Wir haben zwar eine Hausordnung, aber ich glaube, da hat noch keiner nach ihrer Verabschiedung reingeschaut. Ich sage gern „Das einzige Dogma, das wir haben, ist das keines zu haben." Das hat sich bewährt.

Regine: Bei uns wohnen sowohl Wohnungseigentümer als auch Mieter – im Alltag machen wir überhaupt keine Unterscheidungen. Wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen zeitweilig Unterstützung braucht, wird sie fraglos geleistet. Wäre jedoch regelrechte und dauerhafte Pflege notwendig, können entweder externe Dienstleister kommen oder auch eine 24-Stundenpflegerin im Haus untergebracht werden. Im Übrigen sind alle Wohnungen und Bereich barrierearm gestaltet.

Karin: In einigen Wohnprojekten wird beinahe alles geteilt und Aktivitäten finden hauptsächlich in gemeinschaftlichen Räumen statt. Andere dagegen ziehen eher eine gemeinschaftliche Nachbarschaft vor, in der man sich zwar regelmäßig trifft, aber seinen Tagesablauf für sich selbst gestaltet. Wie ist das bei Ihnen, wie wird Gemeinschaft in Ihrem Projekt gelebt?

Claudia: Die Kunst besteht darin, zwischen Gemeinschaftspflege und dem Verfolgen eigener Interessen die Balance zu halten. Wir haben einen schönen großen Gemeinschaftsraum „Gute Stube“ mit Kamin, Küche und Terrasse, den wir gern für zwanglose Treffen, gemeinsame Feste und auch gelegentlich für ernsthafte Besprechungen nutzen. Als Fixpunkt der Woche dient der Kaminabend am Donnerstag, eine informelle Plauderrunde für alle Bewohner. Das ist auch für Interessenten eine gute Gelegenheit, uns kennen zu lernen. Ansonsten geschehen Gemeinschaftsaktivitäten auch oft kurzfristig und auf Zuruf. Ich darf auch für die Mitbewohner – Paare wie Singles - sagen, dass wir unsere Tage weitgehend selbst gestalten. Manche sind berufstätig, andere engagieren sich ehrenamtlich, bilden sich fort, pflegen alte/neue Freundschaften und Familienbeziehungen, verfolgen eigene Hobbys.

Regine: Das zeigt sich räumlich auch darin, dass alle Wohnungen mit Küche und Bad ausgestattet sind. Nebenbei gesagt haben wir auch zwei Gästezimmer für unsere privaten Gäste und fürs Probewohnen.
Einzelne aus der Gemeinschaft engagieren sich auch in den lokalen Verein, Gruppierungen, den Kirchengemeinden, Theatergruppen sowie bei der Entwicklung und Umsetzung des Leitbilds von Enzklösterle.

Claudia: Drei oder viermal pro Jahr laden wir regionale Künstler ein, in unserer „Guten Stube“ auszustellen. Zur Vernissagen werden die Mitbürger eingeladen. Ein weiteres Projekt ist das Heidelbeer-Haus, das mit Produkten aus Heidelbeeren handelt – Enzklösterle positioniert sich touristisch als Heidelbeerdorf. Aus dem Gewinn finanzieren wir Extrawünsche unserer Gemeinschaft.

Karin: Für manche Menschen ist nicht ganz klar, dass ein gemeinschaftliches Projekt eine gemeinsame Organisationsform braucht, nicht zuletzt weil so ein Projekt auch finanziert werden muss. Welche Organisationsform haben Sie für Ihr Projekt gewählt und wie finanzieren Sie Ihr Projekt?

Claudia: Beides, Organisation und Geld, ist oft ein Knackpunkt bei den Projekten. Ja, es braucht Personen, die Geld in die Hand nehmen, denn die Häuser müssen meist um- oder neugebaut werden. Mäzene sind rar, meist muss eine Firma gegründet werden, die das Baugeschehen, die Vermarktung des Projekts und die Finanzierung stemmt. Wir haben damals eine Kommanditgesellschaft (KG) gegründet, die wir jetzt auflösen, weil ihr Zweck, der Umbau des Hotels, erfüllt ist. Am Ende wird eine ganz normale Wohnungseigentümergemeinschaft mit Mehrwert stehen. Diesen Mehrwert – ideell wie faktisch durch die „Gute Stube“, Werkstatt sowie Waschküche und den wirklich großen Garten (ca. 5000 m²) – müssen wir alle auch wollen, denn der verursacht Kosten, die Wohnungseigentümer und Mieter tragen.

Auf Fördergelder oder Partnerschaft mit Gemeinde oder sozialen Einrichtungen haben wir verzichtet, ein Darlehen bei der Bank haben wir aufnehmen müssen.
Die „richtige“ Organisationsform gibt es nicht, dazu sind die Projekte zu verschieden. Ob Verein, Genossenschaft, GmbH oder sonst etwas – alle Strukturen haben Vor- und Nachteile. Das hängt auch von der Zielsetzung, vom Konzept ab.

Karin: Wie lange hat es gedauert, bis sich Ihre Gemeinschaft gefunden hat?

Regine: Es hat gut vier Jahre gedauert, bis wir genügend Gesellschafter (und damit Kapital) beisammen hatten und uns die Bank das Darlehen gewährte. 2012 haben wir mit der Kernsanierung begonnen, nach einem Jahr intensiver Umbauphase sind mehrheitlich die Bewohner eingezogen.

Karin: Suchen Sie noch Mitbewohner?

Regine: Ja, wir suchen noch engagierte Menschen, die den ländlichen Raum gepaart mit komfortabler Wohnung schätzen. Bitte melden Sie sich!

Mehr lesen: Fakten über Wohnprojekte

 

Erstellt von Karin Demming in Zusammenarbeit mit Claudia Ollenhauer, 1. Mitbewohnerin und Regine Erhard, Projektinitiatorin | Linkedin folgen

Vieles auf dem Grundstück und im Garten entsteht durch Eigenarbeit der Gruppe – wer körperlich nicht so fit ist, kümmert sich dann z.B. um die Verpflegung des Teams. Foto: Claudia Ollenhauer
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Der große Garten bietet Platz für Feste, Nutz- und Ziergartenbereiche. Foto: Claudia Ollenhauer
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Gemütliche, zwanglose Treffen im Freundeskreis sind für die Gemeinschaft wichtig und typisch. Foto: Claudia Ollenhauer
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