Interview mit Anke Plehn — Teil 1

Ökologisch und baubiologisch
Ich freue mich, dass Sie sich für mich Zeit genommen haben. Bei den Recherchen für unsere Plattform bring-together haben wir bereits realisierte Wohnmodelle gesucht und sind auf erstaunlich viele Projekte gekommen, die eine ökologische Ausrichtung haben. Trotzdem höre ich immer wieder von einigen, dass man sich ökologisches Bauen ja auch leisten können muss. Ist eine ökologische Bauweise tatsächlich so teuer oder könnte man auch einen moderaten Mittelweg finden, der den Geldbeutel ein wenig schont?
Die ökologische Bauweise ist aus meiner Sicht nicht vom Menschen zu trennen und schneidet für mich ein sehr komplexes Thema an.
Ich bin Baubiologin und distanziere mich von dem rein ökologischen Denken, da dieses oft den Fokus auf die Natur richtet, aus dem Verständnis heraus, dass der Mensch über der Natur steht und diese steuern kann, sie zerstört und meint auch heilen zu können, ganz nach seinem Belieben. Dem ist nicht so. Der Mensch ist ein Teil der Natur. Die Betrachtungsweise entweder Mensch oder Natur ist mir fremd. Als Baubiologin sehe ich den Menschen im Mittelpunkt des Planens und Bauens bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Natur, mit der wir auf die vielfältigste Art vernetzt sind.
So ist das ökologische Bauen nur ein Aspekt, deshalb spreche ich immer von ökologisch-baubiologischem Bauen, was z. B. vom Institut für Baubiologie und Ökologie Neubeuern und dem Sentinelhaus-Institut gelehrt und auch praktiziert wird. In einem Seminar wurden die Mehrkosten für ein baubiologisch-ökologisches im Vergleich mit einem allgemein üblichen in konventionelle Bauweise errichteten Gebäude mit 5-10% benannt.
Es gibt auch Daten für die Mehrkosten, die nach der EnEV 2009 ermittelt wurden, so vom Verband privater Bauherren. In einer Untersuchung kam man auf 11-12% Mehrkosten bei Passivhausbauweise und ich habe in einer Studie eines Architekten gelesen, bei dem er 30% Mehrkosten bei Passivhäusern ermittelte. Es existieren aber auch im Internet Studien mit 5% Mehrkosten bei Passivhausbauweise.
Die Studien sind letztlich nicht wirklich aussagefähig. Jedes Gebäude ist mit seinen Nutzern ein Einzelfall. Wir wissen heute, dass die Kosten aufgrund des Nutzerverhaltens bis zu 40 % im Energieverbrauch abweichen können und wenn wir bedenken, dass mit der gesetzlich verordneten hohen Wärmedämmung ein Großteil der Bausubstanz Schaden nimmt, die Wände nass werden, Schimmel gedeiht, … wer bezahlt diese Kosten?
Worum geht es denn? Doch wohl um das Wohlbefinden des Nutzers! Und wenn der Bauherr gesund bleiben will, wird er sein Budget so lenken, dass seine Gesundheit nach Einzug erhalten bleibt oder sich bessert. Ich habe den Um-und Ausbau eines Bauernhauses mit einer Familie geplant, die mit der Vorstellung zu mir kam, ganz konventionell mit Wärmedämmung, dichten neuen Fenstern, … zu bauen. Sie hatten einen festen und sehr begrenzten Kostenrahmen. Nach wertfreier Wissensvermittlung entschied sich die Familie zugunsten ihrer Gesundheit das ganze Budget umzurubeln: statt Außendämmung, Wandheizung in innenseitigem Lehmdämmputz, Sockelleistenheizung, Kastenfenster aufgearbeitet bzw. wieder eingebaut, Grundofen, … und es wurde viel Eigenleistung erbracht.
Es gibt Bauherren, die sparen an Naturbaustoffen und leisten sich dann goldene Wasserhähne. Jeder entscheidet letztlich für sich, was ihm und seiner Familie die Gesundheit wert ist. Wollen wir jedoch ökologisch und baubiologisch bauen, bedarf es Wissen darüber, vor allem über das, was der Mensch wirklich braucht. Der Fokus in der Architekturausbildung ist leider nicht darauf gerichtet. Der Bezug zum Menschen geht immer mehr verloren.
Gesund bauen
Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit der Umsetzung von ökologischen Bauvorhaben gemacht? Erschweren die gängigen Bauvorschriften eine ökologische Bauweise?
Ja, es wird schwieriger, gesund zu bauen, gesund im Sinn von menschgerecht. Das bedeutet, dass wir Baumaterialien verwenden, die einfach, dauerhaft, naturbelassen sind und in den Naturkreislauf, ohne der Natur unbekannte Reststoffe zu hinterlassen, eingehen.
Um menschengerecht bauen zu können, bedarf es keiner der im Zuge der Energieeinsparung (EnEV) auferlegten Restriktionen. Was ist daran wirklich Energie »sparend«»«? Was ist baubiologisch gesund? Die EnEV betrachtet nur das Haus während der Nutzungsphase. Ich sehe den ganzen Lebenszyklus eines Hauses, von der Rohstoffgewinnung, bis zum Rückbau und der Wiederrückführung in die Natur.
Doch bleiben wir bei Ihrer Frage: Zu mir kommen immer mehr Bauherren, die intuitiv spüren, dass die EnEV und deren Konsequenzen nicht ihrer Gesundheit förderlich sind. Viele von ihnen sehen auch die Auswirkungen auf die Natur und wollen deshalb keine Außendämmung. Es ist dann kein einfacher Weg, andere Lösungen zu finden bzw. eine Befreiung von der EnEV zu beantragen.
Wenn wir den gesamten Zyklus eines Hauses berücksichtigen und dabei auch die Gesundheit der Menschen in der Produktion, kann ein Passivhaus weder wirtschaftlich noch ökologisch sein, außer, es ist aus Strohballen und Lehm oder Hanf, Holz, Lehm und nur mit regionalen Baustoffen gebaut. Strohballenhäuser können heute durchaus den Passivhausstandard erreichen und produzieren keinen Sondermüll, wie z. B. bei den nachträglich bis zu 20cm dick angebrachten Dämmungen, die mehr Geld Kosten als sie dämmen.
Reden Sie da zum Beispiel von Styropor?
Ja, schon im Studium habe ich gelernt, dass der Effekt einer Wärmedämmung sich exponential zur Dämmstoffdicke verhält, deren Optimum bei ca. 7-8 cm liegt. Das heißt, eine Außenwand mit 20 cm zu dämmen, bedeutet Geld zum Fenster rauszuwerfen. Was steigt, ist das Risiko, unserer Gesundheit zu schaden und die Bausubstanz zu schädigen.
Nicht nur die Dampfdiffusion, vor allem der kapillare Wassertransport wird gestört, so dass sich die Feuchtigkeit aus den Innenräumen in der Außenwandkonstruktion sammelt und: ein nasses Gebäude dämmt nicht, wie eine nasse Strickjacke, die ziehen sie auch aus. Die trocknende Wirkung von Sonnenstrahlen und die solaren Energiegewinne bleiben unbeachtet. Es gibt Vergleiche über Jahre, bei denen sich zeigt, dass sich Dämmung über die Nutzungszeit von oft nicht einmal 20 Jahren, nicht rechnet.
Energie und Nutzungsverhalten
Wie könnte man, gerade Denkmalobjekte, wie sie besonders häufig in Leipzig bestehen, ökologisch sanieren? Kann man mit dieser Bauweise auch die Energieeinsparverordnung einhalten? Welche Alternative wäre dies dann oder wie würde sie denn aussehen?
Zur ersten Frage: sie können Altbauten ganz sicher auf die EnEV trimmen. Da gibt es genug »Stellschrauben«, um am Ende den Nachweis zu erbringen. Doch wer ein Denkmal erwirbt, sollte dies denkmalgerecht sanieren, ohne bzw. mit differenziert eingesetzter, sehr gut überlegter Wärmedämmung, dort, wo sie wirklich gebraucht wird, um den Wohnkomfort zu verbessern und Gefahr von der Bausubstanz selbst abzuwenden. Leider gibt es genug andere Beispiele, die Folgen lassen meist nicht lange auf sich warten und dann werden nicht die Verursacher zu Rate gezogen, sondern Gutachter oder Baubiologen. Das Leid der Geschädigten erfahren so die Planer selbst selten.
Energie »sparen« geht nicht, das weiß jedes Kind aus der Schule. Energie können wir auch nicht verbrauchen, wir können sie einfach nur umwandeln.
Um mit der Zerstörung der Natur aufzuhören, brauchen wir ein anderes Denken. Wir trennen aus dem Gesamtprozess Bauen den Teil der Nutzungsphase heraus, mit dem Fokus für den Bauherrn beim Heizen - nicht wirklich - Geld zu sparen. Dieser Reduktionismus im Denken führte uns zu den heute so erschreckenden Naturzerstörungen.
Der Baubiologe begreift ein Gebäude als Organismus, der eingebunden ist in das komplexe Wirkungsgefüge der Natur. Wir können nicht einen Teil rausnehmen, betrachten und dann sagen, da muss ich jetzt in der Zeit, in der das Gebäude genutzt wird, Energie »sparen«. Das ist ein Trugschluss, auch mit der Angst vor dem Ende der Rohstoffe und einem möglichen »Rückschritt« oder Verzicht auf unser komfortables Leben ohne Natur. Wo kommt denn die Energie her? Forscher haben erkannt, dass es heute ganz andere Energieformen gibt, die nutzbar wären.
Meines Erachtens nach, ist es an der Zeit, auch im Bauwesen solche Erkenntnisse mit einzubeziehen und die Ausrichtung im Bau auf unabhängige, autarke Energieversorgungsmöglichkeiten zu richten. Was hält uns davon ab, unsere bisherige Weltanschauung und unser Menschenbild zu erweitern?
Um noch einmal direkt auf ihre Frage einzugehen: wir können heute so bauen, dass wir wenig Energie - bleiben wir bei dem alten Begriff: in der Nutzungsphase verbrauchen, wenn wir unsere Häuser trocken halten. Wenn wir uns überlegen, wie passt denn unser Nutzungsverhalten zu dem, was wir bauen? Welche Baustoffe verwenden wir? Und vor allen Dingen, welches Raumklima schaffen wir? Wir haben jetzt Konvektionsheizungen in unseren Häusern und sind eigentlich von unserer Biologie her auf Strahlungswärme eingestellt. Konvektionsheizung heißt, um die Räume zu erwärmen, braucht es ein Medium. Das ist die Luft. Sie wird erwärmt und dann erwärmt sie langsam die Wände. Das ist ein Effekt, der bei Strahlungswärme schneller funktioniert und die Raumluft bleibt dabei kühler. Strahlungswärme ist das, was wir von der Sonne gewöhnt sind und die z. B. ein Kachelofen bringt. Sie funktioniert ohne auf die Raumluft angewiesen zu sein. Wenn wir mit Strahlungswärme unsere Räume erwärmen, erreichen wir das gleiche Wohlbefinden bei niedrigerer Raumlufttemperatur als bei Konvektionsheizungen. 1°C geringere Raumtemperatur spart 5-6% Energie. Hier sieht man den Unterschied zwischen nur ökologisch-ökonomischem Denken und dem mit der Natur verbundenem, der Baubiologie. Um wirklich dauerhaft gesund und damit auch wirtschaftlich zu bauen, wäre zum Beispiel eine Fußleistenheizung zu empfehlen, gerade im Altbau. Diese kann mit einer Elektroheizung als Flächenheizkörper kombiniert werden, die auch wieder Strahlungswärme abgibt. Der elektrische Strom kann dann schon über andere Energien als üblich erzeugt werden, u. a. über Brennstoffzellen, bis weitere Formen freier Energie anwendungsbereit sind.
Wenn wir heute über Energieverbrauch sprechen, dann müssten wir uns mal die Bilanz anschauen, die Deutschland insgesamt hat, da gibt es einen großen Anteil Übertragungsverluste, so ca. 30 bis 40%. Nutzen wir Energie dezentral, das muss nicht allein nur Sonne und Windkraft sein, sparen wir 30-40 %. Wäre es nicht sinnvoller den Fokus in der Wirtschaft auf Stromtrassen und Windkraftanlagen zu richten und die Forschung zur Klärung der Frage der Energiespeicherung zu unterstützen und der Nutzung von Energieformen, die dort gewandelt werden können, wo sie für Strom und Wärme gebraucht werden?
Es scheint, als sei dies nicht gewollt. Es braucht keine besondere Intelligenz, um die erneute Fehlausrichtung unserer Energiewirtschaft zu erkennen.
Wie könnte man also einen Kompromiss finden?
Es gibt zum Beispiel Strohballenhäuser, die als Passivhaus errichtet wurden und die haben auch den »Blower Door Test« bestanden. Das ist möglich, aber die Frage ist, wollen wir das denn? Es gibt Strohballenhäuser, die schon wieder so perfektioniert sind, dass sie nicht mehr als baubiologisch-ökologisch bezeichnet werden können, weil sie mit Stahl und Kunststoff kombiniert sind. Architekten, die solche Häuser planen, denken noch aus unserer heutigen trennenden Weltanschauung heraus. Stroh wird als Baustoff vermarktet. Da geht es nicht mehr um das gesunde Leben und um das gesunde Raumklima mit allen seinen zu beachtenden Kriterien; auch nicht um den Menschen als Teil der Natur.

Raumklima und Erfahrungswelt
Aus Ihrer Sicht, wie könnten noch mehr Menschen dazu motiviert werden, ein bisschen mehr über Bauweisen nachzudenken?
Durch Vorleben. Alle wollen gesund sein. Wenn einer anfängt sich ein Umfeld zu schaffen, in dem er sich wohlfühlt und gesund bleibt, wird er gefragt und es spricht sich herum. Ich erlebe derzeit eine massive Zunahme von Menschen, die zurück zur Natur wollen. Unabhängig, selbstbestimmt und trotzdem mit der Natur verbunden zu leben sind Urbedürfnisse, die jetzt, nachdem wir sie uns nicht mehr oder nur im Urlaub oder an Wochenenden erfüllen können, sich immer häufiger melden werden. Noch stehen der Erfüllung dieser zu viele Hindernisse im Wege, wie Eigentum und Kosten, für die das eigene Budget nicht ausreicht - allein, der Wandel ist nicht aufzuhalten.
Es ist nicht nur die kurze Zeit einer Mode mit Lehm, Kalk, Holz, Hanf, Flachs oder Stroh zu bauen. Es ist die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse. Keiner hält sich gern in Räumen auf, in denen Stoffe ausgasen, die unserem Körper nicht gut tun. Die Zahl der Räume mit Schadstoffbelastung nimmt jedoch massiv zu. Ich denke, dies bewirkt, dass immer mehr Menschen anfangen nachzudenken und wissen wollen: Wie geht das, gesünder zu bauen?
Der Trend der Technisierung, dass alles so perfektioniert wird, dass man nur noch schnipsen oder schnalzen kann und die Kaffeemaschine geht an oder der Rolladen hoch.... ist letztendlich nicht menschgerecht. Der Mensch hat ein ganz natürliches Bedürfnis nach Bewegung, er hat ein Bedürfnis nach Wachstum, nach geistigem Wachstum und da braucht man halt andere Räume, nicht die, die derzeit im Trend liegen bzw. die nach dem Willen der Industrie zukünftig gebaut werden sollen. Leider scheint die heutige Architekturästhetik eher der Vermarktung der Produkte der Bauindustrie zu dienen, als dem Wohlbefinden der Menschen.
Menschgerechtes Bauen verlangt neben viel Aufklärungsarbeit einen kollektiven Bewusstseinswandel. Bauen ist wie Gärtnern, ein Urbedürfnis. Schauen Sie sich um, welches Tier sorgt nicht selbst dafür, mit Schnabel oder Pfote für seine Familie ein Nest zu bauen? Selbst Fische suchen sich ihre Buchten aus und haben ihre Wege und irgendwo ihr Zuhause. Bauen kann zu einem Selbstfindungsprozess werden und trägt zu unserer Entwicklung bei – wenn wir es zulassen.
Bedürfnisse und Nachhaltigkeit
Es gibt sehr unterschiedliche Wohnmodelle mit verschiedenen konzeptionellen Ansätzen, speziell Wohnprojekte für das Alter. Bei der Realisierung solcher Projekte ist eine Menge zu beachten, wir haben zum Beispiel barrierearm, energiesparend, genügend Raum für gemeinsame Begegnungen, nur um ein paar Punkte zu nennen. Wie schwierig ist es denn: für Architekten, für jeden Einzelnen aus der Gruppe dieser Form gerecht zu werden? Und ist es sinnvoll einen externen Moderator einzubinden?
Ich werde diese zwei Fragen mal ein bisschen auseinander nehmen. Wie schwierig ist es für einen Architekten jedem einzelnen in einer Gruppe gerecht zu werden? Wenn ich mich mit dem Menschen, mit seinem inneren Wesen befasse, wird es leichter, weil: wir haben alle die gleichen naturgegebenen Bedürfnisse. Ich erwähne da immer die Maslowsche Bedürfnispyramide, die wir ja fast alle in der Schule erklärt bekommen haben. Es ist einfach so, dass wir Urbedürfnisse haben, in denen stimmen wir alle überein. Die haben wir nicht alle zur gleichen Zeit, und nicht im gleichen Maße und nicht alle mit der gleichen Priorität. Welcher Mensch kann verneinen, dass er Liebe und Wohlbehagen braucht? Oder Wohlempfinden in warmen sicheren Räumen?
Menschen sehnen sich nach Sicherheit, brauchen eine gewisse Harmonie, auch eine optische Harmonie. Da sind wir heute zum Teil weit weg, weil wir nicht bemerken, dass unsere Sinnesorgane durch die propagierte Architekturästhetik einfach umgewöhnt werden. Ja, Unsere Sinneswahrnehmungen haben sich verändert. Der Bezug zur Natur ging genauso verloren, wie der zu unserem inneren natürlichen Wesen. Uns wird heute weiß, schwarz und grau propagiert als das, was jetzt modern und trendig und damit gut für uns ist. Und viele sind davon überzeugt. Aber wenn der Trend vorbei ist und dann ist wieder pink und grün wie z. B. bei der Deutschen Nationalbibliothek für die Fußböden verwendet, attraktiv, was dann? Sind wir da plötzlich jemand anderes? Ein anderes Wesen, weil statt Grau und Schwarz oder Weiß nun Pink und Froschgrün »in« sind? Natürlich, wie bei der Bekleidung gewöhnen sich unsere Sinneswahrnehmungen sehr schnell an das neu propagierte Outfit. Wissenschaftler bestätigen dies: unser Einzelbewusstsein hat die Eigenschaft, sich dem kollektiven unterzuordnen. Wir fühlen uns ganz schnell in den unmodernen Sachen nicht mehr wohl, obwohl weder wir noch die Sachen sich geändert haben. Sollen dann die grau-schwarzen Schießschartenhäuser abgerissen werden?
Die meisten Menschen denken nur, dass sie fühlen und erkennen nicht, dass Gefühle von anderen, wie von den eigenen Gedanken beeinflussbar sind. Wie fühlen sich die Bürger, wenn ihre Stadtwohnungen mit Flachdach, Schießschartenfenstern und im Schwarz-Weiß-Look nicht mehr im Trend sind? Dann hat der Bauherr plötzlich ein unmodernes Haus. Statussymbol ade! Vielleicht sinkt auch der Verkaufswert. Die Mode ändert sich. Oft sind die neuen Entwicklungen kurzlebig. Dazu kommt, dass die moderne elektronische Haustechnik und künstliche Baumaterialien oft schneller versagen bzw. unansehnlich altern, auch ohne Obsoleszenz. Bei der Haustechnik sprechen wir heute über eine Nutzungsdauer von nur 10-12 Jahren. Ja, und was ist dann? Der Mensch will sich weiterhin wohlfühlen. Zum Wohlfühlen aber gehört auch, dass keine Angst vor wirtschaftlichem Ruin besteht. Aus diesem Grund finden sich Menschen auch zu Baugemeinschaften zusammen.
Um für den Einzelnen auch in Gemeinschaften zu planen und zu bauen, konzentriere ich mich auf die Bedürfnisse der Menschen individuell und in der Gemeinschaft. Mein Ansatz ist, sehr frühzeitig über diese Bedürfnisse zu sprechen. Ich rege mit einer Aufstellung von Fragen an, über die ureigenen Bedürfnisse nachzudenken, die sich jeder mit dem Bauen erfüllen will: Was bedeutet das Bauen für mich, was macht das mit mir und was kann ich da beitragen, damit ich mich als Bauherr im Nachhinein wohlfühle – z. B. solche Fragen. Oft ist den Bauherren nicht bewusst, dass sie gar nicht wissen, was sie wirklich brauchen.
Wissen Sie, ich habe Bewohner, nein, es waren Eigentümer von neuen Stadtvillen gefragt, ob sie sich mit ihrem Haus identifizieren und in ihm wohlfühlen. Die Antwort war ernüchternd: »Na, das hat der Architekt uns vorgeschlagen, das wäre gut für uns«. Solche und ähnliche Antworten! Genau das ist für mich der falsche Weg des Planens. Für mich ist es wichtig, dass ich den Menschen zeigen kann, wie er zu dem kommt, was er eigentlich ursprünglich als der Nestbauer für seine Familie leisten kann und was er für Fähigkeiten hat und: was er und seine Familie wirklich brauchen. Da kommen wir dann wieder bei den naturgegebenen Bedürfnissen an. Die Planung ist dann eine kreative Ideensuche nach der besten Strategie die Bedürfnisse des Bauherrn planerisch umzusetzen.
Es passiert, dass bis zum Planungsauftrag oder bis ein Hausbau beginnt, Monate bis auch mal Jahre vergehen. Die Vorarbeit ist mehr (Bau-)Projekt-Coaching, Wissensvermittlung und Vertrauensbildung. Auf der Bedürfnisebene finden sich dann alle wieder zusammen.
Bauen als Prozess
Also wäre es gar nicht so schwierig verschiedene Menschen in einer Gruppe zu vereinen, weil die Grundbedürfnisse im Grunde genommen gleich sind. Sie müssten dementsprechend einfach offen dargelegt werden?
Es braucht einen Moderator für die Gruppe. Voraussetzung ist, der Entschluss gemeinsam bauen zu wollen und dass kein wirtschaftlicher oder zeitlicher Druck besteht, sondern das Bauen als Lebens- oder sogar Selbstfindungsprozess gesehen wird. Das sind mir die liebsten Bauherren: die in eigener Verantwortung den Hausbau an ihre ganz individuelle Lebensvorstellung anpassen. Das kann schon ein längerer Prozess werden, doch er bereichert alle. Als Architektin bin ich Impulsgeber, stoße, jedenfalls habe ich das bei Vorhaben erlebt, einen Prozess an, der über Jahre gehen kann. Ich bin ausgebildete Mediatorin, gebe Coachings und begleite bei Konflikten medial die Bauherren, so dass sie ihren ganz eigenen Weg finden können.
Es kommt vor, dass erst einmal noch ein Kind geboren wird. Das bringt eine andere Sichtweise mit und bestimmte Dinge werden hinterfragt. Die Eltern brauchen oft mehr Sicherheit. Dann sind Beratungsleistungen gefragt. Manchmal gerät auch der wirtschaftliche Aspekt ein bisschen mehr in den Hintergrund, weil erkannt wird, ja eigentlich geht es uns ja um’s Leben - im Hier und Jetzt. Die Bauherren wollen halt nicht 3 Jahre die Luft anhalten und auf’s Leben verzichten. Stress und Ängste sind out. Das kennen wir von vielen Baustellen: die Kinder leiden, die Ehen gehen zum Teil auseinander, man will unbedingt ein Ziel erreichen, ein eigenes Haus.
Nein, die Bauzeit ist auch Lebenszeit, in der Bauherren sich die Zeit nehmen und den Prozess innerlich auch erleben und ihn bewusst annehmen wollen. Es ist ein anderes Bauen und ich glaube, das ist eigentlich die wirkliche Herausforderung für Architekten: wir werden zunehmend Begleiter von Familien, von Menschen, von Gemeinschaften, die etwas selbst tun wollen. Das erlebe ich immer mehr, gerade in diesem Jahr hat das sehr stark zugenommen. Viele Anfragen kamen von Menschen, die feststellen, dass der Sinn ihres Lebens in der Arbeit nicht erfüllt wird, die sich ein Haus oder eine Ruine ergattern und dann am Wochenende was mit den Händen schaffen wollen. Die wollen mehr wissen über Baubiologie und ökologisches Bauen, die wollen selbst ein Aufmaß zeichnen, die wollen selbst in die Verantwortung gehen, die wollen die Planung verstehen und nachvollziehen können, bis ins Detail. Diesen Bauherren geht es nicht mehr darum, dass der Architekt haften muss, sondern da geht’s darum »ich will es verstehen, ich will es selbst machen, ich will selbst entscheiden können, ich übernehme selbst die Verantwortung«. Das ist die Zukunft. Das hat zur Folge, dass bei den Architekten die Ängste zurückgehen und kreativer, individueller und menschgerechter geplant wird. Architekten ist eine große Haftung auferlegt. Angst und Kontrollzwänge gehören meiner Meinung nach in eine Zeit, von der wir uns verabschieden sollten. Jeder Bauprozess ist ein Stück Lebenszeit und das eigene Haus wird als ein lebenslanges Zuhause geplant. Ich biete die beschriebene Vorgehensweise besonders gern Bauherren an, die ihre Chance darin erkennen, ihr individuelles, auf ihre Bedürfnisse abgestimmtes Haus zu bauen.
Über alles kann ich mit den Bauherren sprechen, meine Denkweise aber bleibt ganzheitlich. Diese Sichtweise will und kann ich nicht mehr ausklinken.
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