Was verbindet uns in der Gemeinschaft?
Wir beginnen mit der glanzvollen Vorstellung der WWG.
Sie ist die Erweiterung der inzwischen etablierten Abkürzung WG durch das zweite und wesentliche "W", welches für "Wirken" steht. Im letzten Artikel zeigte ich auf, dass das gemeinsame Tun die Grundlage einer nonverbalen Kommunikation bildet, in der es weder Täuschung, noch Trug gibt. Der Körper kann nicht lügen.

In seinem Kern steht das gemeinsame Wirken für die Verkürzung der Kennenlernphase. Monatelang kann es dauern, bis die Protagonisten eines Gemeinschaftsprojektes ihre aufgesetzten Persönlichkeiten (von Persona = Maske) fallen lassen und ihr wahres Gesicht zum Vorschein kommt. In dem Tun, Seite an Seite, einander ergänzend, offenbart sich die wahre Persönlichkeit in kürzester Zeit und wir spüren ganz ohne empathisch sein zu müssen, ob wir miteinander können und wollen.
Was ist aber das Tun? Welcher Natur entspringt es? Wie sieht es denn in der Praxis aus?
Je praktischer, um so enttarnender. Wenn einem nichts besseres einfällt, kann man ja gemeinsam einen Baum im Wald schlagen, ihn auf das Grundstück bringen und als "Richtbaum" statisch sicher im Boden verankern. Wenn alle dabei beteiligt sind und diese Aktion einen ganzen Tag dauert, vielleicht sogar ein ganzes Wochenende, dann zeigt sich recht klar, wer Führungsqualitäten besitzt, wer gut zupacken kann, wer Schnittchen schmiert und wer einfach nur gern herumsteht und schnattert. Lasst es am besten von jemand Dritten filmen – ganz einfach mit der Handy-Kamera. Macht zwischendurch Stimmungsbefragungen, viele Pausen und ihr werdet sehen, wem es zu wem bzw. was zieht.
Das war natürlich nur ein Wasserschwall auf die Mühle der Enttarnung.
Viele Gemeinschaften und Baugruppen, die es geschafft haben, ein Zuhause herzustellen, berichten von der immensen Verbundenheit während der Planungs-, Entscheidungs- und Bauphase. Dieses Gefühl soll während des laufenden Betriebes eines Gemeinschaftsstandortes erhalten bleiben. Das klassische Wohnhaus in einem Ballungszentrum verfügt über Gewerbeflächen im Erdgeschoss. Diese kann man gemeinsam betreiben – und sei es denn als Seminarraum zur Vermietung an Dritte, ein Nachbarschaftscafé oder einen Fahrradverleih. Der Ideen gibt es so viele, wie Teilnehmende an einem Projekt. Wichtig ist dabei, dass jeder im Rahmen seiner Kernkompetenz und seines Potentials einwirkt und dies durchaus in sehr unterschiedlichen, zeitlichen Engagements.
Was sich auch gut bewährt hat, ist die Pacht einer größeren Gartenfläche. Hier kann Gemüse angebaut werden, das man pflegt, erntet und verteilt – muss ja nicht gleich ein Marktstand dabei entstehen, könnte aber durchaus eine "Armenküche" nähren...
Das höchste der Gefühle ist bei einem Wirkensansatz die Darstellung der vollständigen Wirtschaftlichkeit aller Teilnehmenden. Das bedeute, dass der Hausentwurf als solches zeitgleich mit der Entwicklung eines Wirkenskonzeptes startet. So wie wir selbstverständlich den Anspruch haben, "vollständig" zu wohnen mit Wärme, fließend Wasser und Elektrizität, so kann auch selbstverständlich der Anspruch erfüllt werden, den Grundbedarf des täglichen Lebens aus einer gemeinschaftlichen Arbeit zu erwirtschaften. Im mindesten Fall sollten aber die Nebenkosten des Gebäudes damit gedeckt werden. Ein Zwischenmaß bildet dann auch das Bedienen von Zins und Tilgung aus gemeinschaftlichen Einkünften. Das fürs erste zum Wirken als solches.
Ein gesellschaftlicher Ansatz der WWG-Bewegung ist die Weiterentwicklung der sozialen Strukturen. In einer WWG fügen wir die gegenwärtigen Lebenskonzepte auf der Beziehungs-, Glaubens- und Absicherungsebene respektvoll in ihren jeweiligen Konzepten aneinander. Was verbindet, ist zuerst der Raum und das Wirken. Eine bewusstseinserweiternde Verpflichtung ist jedoch das regelmäßige Betrachten und Diskutieren anderer bzw. alternativer Lebenskonzepte. Entspringen diese aus der eigenen Mitte oder aus dem Geist eingeladener Referierender, ist dabei sekundär. Unbequeme Themen, die das Menschsein ausmachen, wie Kindererziehung, Sexualität, Tod, Strafe und Sühne, Moral, Körperkultur,... kommen dabei in immer wiederkehrenden Spiralen als Thema auf den Tisch. Die Absicht ist hierbei, das Hinsehen als solches, sich Öffnen für Sichtweisen anderer. Einen Konsens zu finden, liegt dem Prozess fern. Die Vielfalt stehe über der Einheit.
Störungen und persönliche Konflikte haben immer Vorrang. Dafür braucht es Riten und Bräuche. Diese entwickelt Ihr am besten selbst. Und um Gottes Willen holt Euch professionelle Hilfe in der Moderation und Mediation, wenn Ihr stecken bleibt!
Eine WWG ist eine Gemeinschaft auf Zeit. Solange alles funktioniert, solange es etwas zum Teilen gibt und solange man sich gut versteht und mag. Jedem steht es frei, zu jeder Zeit eine solche Gemeinschaft für neue Ziele und Träume zu verlassen. An große Krisen, Krankheiten, Altersabsicherung denkt man dabei nicht wirklich. Man lebt heute, rutscht zusammen, entwickelt starke Sympathien und große Hilfsbereitschaft, aber eben auch Grenzen der Anteilnahme. Eine WWG ist keine therapeutische Einrichtung, erhebt nicht das Ziel, irgendeine soziale Heilarbeit oder einen psychologisch-therapeutischen Dienst zu erbringen. Man will sich gemeinsam entwickeln, ohne einander zur Last zu fallen.
Ein ganz wichtiges Thema in einer WWG ist "das tickende Altersheim". Wie in allen Aufbruchgemeinschaften ist die Altersstruktur relativ homogen und die Kinder sind klein. Der Klassiker ist, die Kinder werden groß und ziehen aus. Die Bewohnenden sind älter geworden, das Haus ist günstig, man erweitert zwangsläufig ein wenig seine Nutzfläche. Es wollen ohnehin keine jungen Familien dazustoßen und andere Alte will man auch nicht. In Berlin zum Beispiel leiden die Gemeinschaften aus der Hausbesetzer-Szene der 1990er Jahre inzwischen an Überalterung. Eine ganz wichtige Frage, die man sich zu Beginn des Projektes stellen muss, ist: Wie gestalten wir das Projekt auch noch in 20 Jahren attraktiv für junge Familien, die dann so sind, wie wir heute? Diese Frage muss der Leitfaden sein für die Entwicklung des Konzeptes des gemeinsamen Wirkens. In der Regel ist das Tun der Magnetismus, der auch noch in 20 Jahren Menschen, wie wir heute sind, anziehen wird.
Der Ansatz lässt sich noch weiterentwickeln, wenn mehrere WWGs mit unterschiedlichen Standort-Qualitäten, z. B. in der Stadt, auf dem Land, am Wasser,... sich zu WirkensGemeinschaften zusammenschließen. Die Lebensqualität wächst dadurch exponentiell. Dieser Gedanke bildet die Grundlage für Gemilien - die Krone der Gemeinschaftlichkeit und die höchste Herausforderung an uns selbst. Im nächsten Artikel geht es um die Gemilie, die Königin der Gemeinschaftlichkeit.